Menschen führen zwei Leben – und das zerreißt sie von innen

Du kennst dieses Gefühl der inneren Zerrissenheit wahrscheinlich.

Du befindest dich an einem Ort, wo du nicht sein willst und möchtest irgendwie weg. Oder dich zieht es irgendwo hin und du spürst, du kannst da nicht hin, weil dich offensichtlich etwas davon abhält.

Das ist diese innere Zerrissenheit. Ich nenne es: Gefangensein in zwei verschiedenen Leben.

Das eine Leben ist da, um Geld zu verdienen. Das zweite Leben ist da, um sich vom ersten Leben zu erholen. Irgendwie verrückt, oder?

In jungen Jahren merkst du es noch nicht

In den 30ern reden wir noch vom "Hamsterrad", vom Stress bei der Arbeit oder dem Karrieredruck. Das klingt fast harmlos. Als ob es nur eine Phase wäre.

Doch je älter du wirst, desto mehr erlebst du das als eine innere Zerrissenheit und eine Aufspaltung in zwei Leben.

Ich weiß aus eigener Erfahrung: Das wird mit zunehmendem Alter nicht besser, sondern stärker – wenn es nicht gelingt, diese beiden Leben zusammenzuführen.

Und seien wir doch mal ehrlich: Was wünschen wir uns alle? Wir wünschen uns alle ein Leben in Freiheit, Autonomie, in einem Zustand des Ganz-Seins. Das ist das, wonach wir alle streben.

Das äußert sich dann so: Menschen machen Urlaub in exotischen Urlaubsgebieten, melden sich zu Kursen an, fangen mit Meditation an – einfach um von dem anderen Leben ein Stück weit zu fliehen.

Aber wie kann es uns gelingen, diese beiden Leben zusammenzuführen?

Der Schlüssel liegt in deiner Geschichte verborgen

Eine grundlegende Möglichkeit ist es, sich erst einmal kennenzulernen. Herauszufinden, was einen wirklich bewegt, was die eigene Geschichte ist.

Im Marketing-Jargon nennt man das "Origin Story". Alle großen Firmen haben ihre Origin Story – eine Geschichte, die ihre Identität erklärt, die erklärt, warum sie tun, was sie tun und warum sie genau die richtige Firma für das sind, was sie anbieten.

Eine Origin Story folgt einer festen Struktur: Hauptcharakter, Situation, auslösendes Ereignis, Kern-Emotion, Bewegung, Gelegenheit und Authentizität.

Aber sie ist viel mehr als nur Marketing-Material.

Sie ist wie ein Personalausweis – nichts, was sich von heute auf morgen verändert. Das ist alles, was dich ausmacht: wo du herkommst, wo du bist und wo du sein willst, was deine Mission ist.

Sie gibt anderen Menschen Orientierung. Sie wissen genau, woran sie bei dir sind, was sie von dir erwarten können und wofür du stehst.

Und sie gibt dir Orientierung, gerade in schwierigen Momenten. Sie hält dich davon ab, auf Abwege zu gleiten. Sie erinnert dich an das, wofür du hier bist – an deinen Ruf, deine Berufung, deine Mission.

Aber da ist ein Problem: Die meisten Menschen kennen ihre wahre Mission nicht

Bevor du deine Origin Story schreibst, musst du herausfinden, was deine wahre Mission ist. Denn viele fangen einfach an zu schreiben – aus dem Moment heraus, von dem Punkt, den sie für ihren Ausgangspunkt halten.

Das reicht für eine Marketing-Origin-Story. Für die Website ist das vollkommen in Ordnung.

Aber wenn du dir nicht vorher Gedanken machst, wie du überhaupt zu diesem Ausgangspunkt gekommen bist, könnte es sein, dass die Origin Story gar nicht richtig ist. Oder dass wichtige Nuancen fehlen, die sie erst zu einer wirklichen Origin Story machen.

Lass mich dir eine Geschichte erzählen

Als ich um die 30 war, arbeitete ich in der Touristik. Ich war Einkäufer und Produktmanager, hatte ein kleines Team unter mir. Meine Aufgabe: Hotelverträge in Italien abschließen und daraus touristische Programme entwickeln.

Wenn das heute in meinem LinkedIn-Profil stehen würde – "Touristik, großer Konzern, Abteilungsleiter, verantwortlich für Italien" – würde jeder denken: "Ah, der Kai ist Touristik-Experte, sein Spezialgebiet ist Italien."

Das wäre völlig falsch.

Bei einem wichtigen Vertragsgespräch in Italien – großes Geschäft, wir waren vor Ort: mein Chef, der Anwalt des Konzerns und ich. Auf der anderen Seite der Hotelpartner mit seinem Anwalt. Die Modalitäten waren besprochen, es ging nur noch um Unterschriften.

Plötzlich fing mein Chef an, über eine Kleinigkeit zu feilschen. Es ging um Apartments am Gardasee. Er wollte deutsche Kaffeemaschinen statt italienischer – alles Dinge, die längst besprochen und verabschiedet waren.

Er beharrte darauf, bis die italienische Seite sagte: "Okay, es reicht. Wenn es daran scheitert, lassen wir den Vertrag platzen."

Mein Chef sah das als Bluff an und machte weiter. Ich merkte sofort: Er ist zu weit gegangen. Das Ganze drohte zu kippen.

Ich sagte zum italienischen Partner: "Entschuldigen Sie, macht es Ihnen etwas aus, wenn wir uns kurz zu dritt austauschen?"

Als wir allein waren, sagte ich zu meinem Chef: "Sie sind hier einen Schritt zu weit gegangen. Wenn Sie weitermachen, platzt dieser Vertrag. Geht es Ihnen wirklich um die Kaffeemaschine oder darum, dieses Geschäft abzuschließen?"

Er guckte mich verdutzt an: "Ich wollte ein bisschen verhandeln. Südländer handeln doch gerne."

"Nein", sagte ich. "Das ist kein Spiel mehr. Das ist ernst. Der lässt dieses Geschäft platzen, weil Sie seinen Stolz angegriffen haben."

Er lenkte ein. Wir holten die italienischen Partner rein und kamen zum Vertragsabschluss.

Was will ich damit sagen?

Meine Expertise war nicht "Einkäufer" oder "Abteilungsleiter". Meine Expertise war das Zusammenführen von Menschen, das Vermitteln, das Integrieren.

Das hatte sich schon in meiner Kindheit gezeigt, in der Schule bei Festen, bei Partys. Ich war derjenige, der verbunden hat. Das zieht sich durch wie ein roter Faden.

Das war mir aber gar nicht bewusst. Bis Jahre später ein externer Coach nach einem Konflikt-Workshop zu mir kam. Er kannte mich nicht, hatte mich nur zwei Tage erlebt und sagte: "Herr Magaldi, Sie haben eine sehr integrative Persönlichkeit. Es wäre hilfreich, wenn Sie versuchen, die scheinbar unversöhnlichen Enden zusammenzubringen."

Da war es wieder. Die Bestätigung von jemandem, der mich nicht kannte.

Das ist die wahre Fähigkeit. Und darum geht es in der Origin Story: zu schauen, was ist der rote Faden in deinem Leben? Welche wiederholenden Muster sind da? Welche Qualitäten haben sich herausgebildet?

Das sind die Dinge, die Menschen bei dir ansprechen – die nichts mit Titel oder Position zu tun haben. "Kannst du mir mal helfen, du erklärst immer so gut." "Kann ich dir etwas anvertrauen? Ich weiß, bei dir ist das gut aufgehoben." "Schaust du da mal mit deinem analytischen Blick drauf?"

Das sind die wahren Fähigkeiten. Nicht deine Zertifikate, nicht deine Ausbildungen, nicht deine Rollen. Das sind nur Manifestationen oder Spielwiesen. Austauschbar.

Die Mission bahnt sich ihren Weg

Wahrscheinlich manifestieren sich all diese wahren Fähigkeiten schon in deinem Leben. Du wirst in deinem Leben an Kursen teilgenommen haben, die dich einfach interessiert haben – die nichts mit deinem Job zu tun haben.

Du wirst in Urlaube gefahren sein, wo du einen Kurs besucht hast. Meditation. Oder du kaufst Bücher, die nichts mit deinem Job zu tun haben. Über Philosophie, über die Entdeckung des Universums, wie du technische Sachen erfinden kannst.

Diese Mission, die in dir ist, bahnt sich ihren Weg in deiner Freizeit.

Das Problem: Deine Bestimmung ist viel zu wichtig, um sie als Hobby zu leben. Und das wird dir im zunehmenden Alter immer deutlicher bewusst.

Irgendwann kommt das erste zaghafte Eingeständnis in Form einer harmlos klingenden Frage: "Soll ich das bis zur Rente so weitermachen?"

Sie klingt harmlos. Ja, fast nebensächlich. Aber sie hat enorme Sprengkraft. Und sie wird irgendwann explodieren, wenn du sie nicht vorher ernst nimmst.

Der Test, der alles verändert

Wie kannst du herausfinden, was wirklich zu deiner Mission gehört und was Flucht ist?

Ganz häufig machen wir Dinge in unserer Freizeit, um uns von unserem Arbeitsleben zu erholen. Wir fliehen. Exotische Urlaube, Retreats in den Bergen, zwei Wochen stille Meditation, Bücher über Religion, Philosophie, Selbstfindung.

Stell dir vor: Du meldest dich zu diesem Retreat an. Irgendwo in den Bergen, zwei Wochen Schweigemeditation.

Jetzt frag dich: Würdest du dieses Retreat auch machen, wenn du nicht in deinem jetzigen Job wärst? Wenn du etwas tätest, was dir Freude macht, was aus deinem Herzen kommt?

Wenn du es machen würdest, hast du ein deutliches Signal: Das ist Teil deiner Mission. Die Inhalte oder das, was du dir davon erhoffst, gehört zu dir.

Wenn du zu dem Schluss kommst "Nee, dann würde ich es nicht machen", dann ist es ein Fluchtgedanke. Ein Ausgleichsversuch, um dein erstes Leben erträglicher zu gestalten.

Beide Erkenntnisse sind extrem wichtig. Bei dem einen bekommst du einen Hinweis auf deine Mission. Bei dem anderen eine Erinnerung daran, dass du nicht in dem Leben bist, wo du hingehörst.

Du kannst dich das mit allem fragen. Die Art, wie du Urlaub machst. Wo und wie du wohnst. Die Kleidung, die du trägst. Würdest du sie tragen, wenn du ein ganzes Leben führst? Wenn du beruflich das tust, was aus deinem Herzen kommt?

Jedes Ja oder Nein gibt dir eine Erkenntnis: Ist es Teil deiner Mission oder Flucht vor deinem jetzigen Leben?

Die Brücke zwischen deinen zwei Leben

Es ist eine absolut lohnenswerte Arbeit. Sie ist nicht in zwei Stunden gemacht. Vielleicht ein ganzes Wochenende oder mehrere Wochenenden. Vielleicht nimmst du dir Urlaub dafür.

Wenn du das getan hast, hast du eine Brücke geschlagen. Eine Brücke, um dein erstes Leben mit dem zweiten Leben zu verbinden. Um die beiden zusammenzubringen, woraus etwas Neues entsteht.

Die Origin Story mit ihrer Struktur – die kommt danach. Und dann wirst du eine Origin Story haben, die wirklich original ist. Die aus dir herauskommt. Wo deine Werte deutlich sind, wo dein Warum klar wird.

Das wird das sein, was Menschen anzieht. Mit dem Menschen mit dir in Resonanz gehen. Nicht alle, aber die Richtigen.

Darum geht es: deine Community aufzubauen, in Beziehungen zu anderen Menschen zu treten und deine Berufung zu leben. Damit du ganz wirst.

Kein problemloses Leben, aber ein erfülltes Leben.

Mache diesen ersten Schritt. Es ist einer der lohnendsten Schritte, um deine beiden Leben zusammenzuführen.

Was ist der erste Schritt, den du heute gehen kannst, um deine Leben zusammenzuführen?

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